Die Jagd und das private Eigentum – Konfliktlösung mit Mediation

Autor: Ralf Bittner*

Bezug: Urteil der Großen Kammer (Beschwerdenummer 9300/07), Urteil vom 26.6.2012

Der bundesweite Flächenanteil der Land- und Forstwirtschaft umfasste im Jahre 2002, zur Zeit der 2. Waldinventur, 78 % unserer Landschaft (47 Prozent Landwirtschaftsfläche – größtenteils im Privatbesitz – und 31 % Waldfläche – davon 44 % Privatwald -). Dort lebt ein Großteil unserer Pflanzen- und Tierwelt. Dort gilt das deutsche Jagdrecht. Zahlreiche Land- und Forstwirte üben als Grundeigentümer und als Inhaber des Jagdrechts in ihren Eigenjagden oder oft auch als Pächter in den heimatlichen gemeinschaftlichen Jagdbezirken die Jagd aus. Ein Eigentümer hat sich nun vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Große Kammer des EGMR) gegen die Jagdausübung auf seinem Grund und Boden ausgesprochen. Der 47-Jährige aus Stutensee in Baden-Württemberg ist in Rheinland-Pfalz Eigentümer einer bis 75 Hektar großen Land- und Forstfläche und lehnt die Jagd aus ethischen Gründen ab. Die Große Kammer des EGMR hat ihm attestiert, dass Grundstückseigentümer in Zukunft nicht mehr verpflichtet werden dürfen, die Jagd auf ihrem Land zu dulden. Eine solche Verpflichtung sei eine unverhältnismäßige Belastung für Grundstückbesitzer, die die Jagd ablehnten. Der klagende Eigentümer war zunächst in allen nationalen Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht und der Beschwerde bei der Vorinstanz, dem EGMR, unterlegen. Zuletzt rügte er im Jagdrecht eine Verletzung seiner Rechte auf Schutz des Eigentums, der Vereinigungsfreiheit und der Gewissensfreiheit. Außerdem sah er sich als Eigentümer eines kleineren Grundstücks gegenüber Eigenjagdbesitzern diskriminiert. All diese Argumente wies das EGMR wie alle anderen Vorinstanzen zurück. Nach der Entscheidung des EGMR ist das Grundrecht des Eigentums (Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK) zwar betroffen, dieser Eingriff wurde aber als gerechtfertigt angesehen. Denn die Ziele des Bundesjagdgesetzes – wie unter anderem artenreicher und gesunder Wildbestand und die Verhinderung übermäßigen Wildschadens – liegen im allgemeinen Interesse. Der Gerichtshof hatte bis dahin auch anerkannt, dass die Bejagungspflicht für alle jagdbaren Grundstücke in Deutschland gilt, unabhängig davon ob diese im öffentlichen oder privaten Eigentum stehen und unabhängig von ihrer Größe. Daher lag nach Ansicht des EGMR auch keine Verletzung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes nach Art. 14 EMRK in Verbindung mit dem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Grundgesetz vor. Die unterschiedliche Behandlung von Grundflächen – und zwar von Eigenjagdbezirken einerseits und kleineren Grundstücken andererseits – war daher nach Ansicht des EGMR in der Vorinstanz noch gut vertretbar. Der Gerichtshof meinte weiter, dass auch das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit (Art. 11 EMRK) nicht verletzt ist. Denn Jagdgenossenschaften seien als Körperschaften öffentlichen Rechts keine Vereinigungen im Sinne dieses Artikels. Auch das Grundrecht der Gewissensfreiheit war nach damaliger Ansicht des EGMR nicht verletzt. Gegen das Urteil hat sich der Kläger allerdings danach mit der weiteren Beschwerde an die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gewendet, die nun genau entgegengesetzt entschied. Leider ist damit der Rechtsweg endgültig ausgeschöpft. Erstaunlicherweise und völlig überraschend schränkt die große Kammer des EGMR mit diesem Urteil das im Bundesjagdgesetz (BJG) und in den Landesjagdgesetzen geregelte deutsche Jagdrecht in erheblichem Umfang ein. Bisher hatte der Grundstückseigentümer die Jagd zu dulden. Bei der Größe des Grundstücks bis 75 ha war der Kläger automatisch Mitglied einer Jagdgenossenschaft, so dass die Jagd nach deutschem Recht auf seinem Grundstück die Jagd folglich stattfinden konnte. Die Große Kammer des EGMR meint demgegenüber, der Grundstückseigentümer dürfe in Zukunft nicht mehr verpflichtet werden, die Jagd auf seinem Land zu dulden. Eine solche Verpflichtung sei eine unverhältnismäßige Belastung für Grundbesitzer, die die Jagd ablehnen. Die Große Kammer des EGMR beruft sich auf frühere jagdrechtliche Urteile, die Sachverhalte in Frankreich und Luxemburg betrafen. Danach hatten diese Länder den Landbesitzern zu Recht gestattet, gegen die Jagd auf ihrem Grund Einspruch zu erheben oder ihre Mitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft unter bestimmten Bedingungen zu beenden. Mit der neuen Rechtslage entstehen im deutschen Jagdrecht zahlreiche rechtliche und tatsächliche Unsicherheiten. Die Jagd nach deutschem Recht dient dem Eigentümer. § 1 BJG gibt den Jägern vor, die Wildhege so durchzuführen, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden. Die Formulierungen des Gesetzgebers und die Erfahrungen zeigen, dass insbesondere pflanzenfressende Wildtiere ganz ohne Verbiss nicht erhalten werden können. Die freilebende Tierwelt wird sich in unserer Kulturlandschaft mit den für sie negativen Veränderungen naturgemäß immer in einer gewissen Konkurrenzsituation zur Land- und Forstwirtschaft befinden. Die den Jägern auferlegte Pflicht zur Jagd gilt deshalb  in Deutschland für alle jagdbaren Grundstücke, unabhängig davon, ob diese im öffentlichen oder privaten Eigentum stehen und unabhängig von ihrer Größe. Die diesem Ideal zugrundeliegenden Erwägungen verlieren nach der Entscheidung der Großen Kammer des EGMR an Glanz. Genau genommen ist mit der Entscheidung ein Grundpfeiler des Fundaments der deutschen Waidgerechtigkeit ins Wanken geraten. Der deutsche Jagdschutzverband (DJV) bedauert die Entscheidung. Der DJV-Präsident Hartwig Fischer findet kaum tröstende Worte und interpretiert das Urteil so: Der EGMR  habe „das Reviersystem mit der Hegeverpflichtung und dem Prinzip der flächendeckenden Bejagung nicht grundsätzlich für unvereinbar mit der Menschen-rechtskonvention erklärt“. Es bleibt dem Gesetzgeber und der Verwaltung überlassen, das deutsche Jagdrecht im Spannungsfeld zu den festgestellten Grundrechtsverletzung sowie den aus der Entscheidung der Großen Kammer des EGMR resultierenden Folgen auch für die Wildschadenregulierung umzusetzen.  Das Urteil der großen Kammer mit ihren sieb-zehn Richtern ist jedenfalls mangels höherer Instanzen bindend.
Schwierigkeiten sind jedenfalls dann zu erwarten, wenn andere Eigentümer ihre ethische Überzeugung ebenfalls zum Anlass nehmen, die Jagd auf ihrem Grund zu verbieten.
Öffentliche und gemeinschaftliche Eigentümer werden sich hüten, die Jagd auf  ihrem Terrain einzuschränken. Die mit einer solchen Maßnahme verbundenen Mehrkosten und Verluste sind dem Bürger oder Miteigentümer nicht zumutbar oder derzeit zumindest kaum vertretbar. Relevant wird das Urteil nur bei solchen Mitgliedern unserer Luxus- und Überflussge-sellschaft, die sich den Verzicht auf den Nutzen und die Pachteinnahmen aus der Jagd leisten können. Die Entscheidung kann sich deshalb für alle Pachtverhältnisse mit einzelnen privaten Eigentümern auswirken, denn das angesprochene Grund- und Menschenrecht gilt auch für Eigenjagdbesitzer. Besitzer größerer Ländereien waren bisher verpflichtet, selbst zu jagen oder die Jagd auf ihren Grundstücken zuzulassen. Diese können sich nun ebenfalls auf das Urteil der großen Kammer des EGMR berufen. Für Eigentümer von Ländereien unter 75 Hektar, die üblicherweise in Jagdgenossenschaften zusammengefasst sind, ist nun zu entscheiden, wie zu verfahren ist. Zunächst dürfte in ähnlich gelagerten Fällen die Grundlage des Jagdpachtvertrages mit der Jagdgenossenschaft entfallen. Jedenfalls besteht kein Anspruch auf die anteilige Jagdpacht, soweit dem Pächter das Jagdrecht teilweise vorenthalten wird. Daneben kann das Jagdrecht auch darüberhinausgehend verletzt sein, weil der Rest der jagdbaren Fläche durch die Einschränkung ebenfalls an Wert verliert. Insbesondere stellt sich die Frage, wie mit den durch den das Jagdrecht verneinenden Eigentümer verursachten Wildschäden zu verfahren ist. Kann der Jagdpächter dafür noch im bisherigen Umfang verantwortlich gemacht werden? Bis Gesetzgeber und Verwaltung die Folgen des Urteils aufgearbeitet haben, wird viel Zeit verrinnen.

Auseinandersetzungen zwischen Jägern und Jagdgenossenschaften oder Eigentümern sind vorprogrammiert. Es stellt sich die Frage, wie unter solchen Verhältnissen das gute Miteinander zwischen Jagdgenossenschaft und Jagdpächter bewahrt werden kann.

Eine schnelle Einigung über die rechtlichen Unsicherheiten hinweg erlaubt die außergerichtliche Mediation. Vor Gericht und im Schiedsverfahren geht es darum, den Streit anhand der Gesetzes- und Rechtslage zu entscheiden. Bei der Mediation stehen demgegenüber die Interessen der Beteiligten im Vordergrund. Rechtsfragen können deshalb weitgehend außen vor bleiben. Der neutrale Mediator kann den Parteien helfen, kurzfristig eine eigene dauerhafte Lösung zur Fortführung des Pachtvertrags für die restliche Laufzeit zu finden. So lässt sich eine langwierige Auseinandersetzung vermeiden. Das gute Verhältnis zur Jagdgenossenschaft bleibt gewahrt. Der Blick auf das Wesentliche, die Möglichkeit der Jagd-Passion zu folgen, bleibt ungetrübt.

Weitere Informationen zur Mediation finden Sie auf www.mediation.de und auf der Homepage des Autors: www.ra-bit.de.

Der Autor Ralf Bittner ist Rechtsanwaltsmediator in Frechen-Königsdorf und Rechtsanwalt in Köln. Für weitere Informationen steht er gerne zur Verfügung. Weitere Informationen zu Ralf Bittner finden Sie hier.

 

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